Vor dem kaiserlichen Schlafgemach wachsen Obstbäume. Um die Nachtruhe vorzubereiten und das Gelass zu lüften, hatte ich das Fenster geöffnet und mich niedergelegt. Draußen kündigte sich der Sommer an. Ein feuchter Wind, von der Sonnenhitze noch nicht ausgetrocknet, breitete sich angenehm im Raum aus und kitzelte die Sinne. Der verführerische Duft der Kirschfrucht stieg mir in die Nase. Das lockte, ich sprang aus den Federn und ans Fenster. Ich zog mir einen Zweig heran und pflückte die Kirschen. Lecker! Zur Vermeidung unnötiger Anstrengung schluckte ich die Kerne einfach mit runter. Ich hörte erst auf, als mein Bauch so aufgequollen war, dass ich nicht mehr durchs Fenster passte. Das brachte mich zur Besinnung. Was hatte ich getan? Immer diese verfluchte Gefräßigkeit. Ein Furz gab das Signal zur Revolution im Bauch – ein Krach wie aus der Kanone, dann der flotte Otto. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Weiß der Teufel, was da zu tun war. Als ich zum hundertsten mal aus dem Klo gerannt kam, knallte ich mit der Nase gegen die gegenüberliegende Tür. Ich trat ein und befand mich in der Bibliothek. Die hatte ich zum letzten Mal besucht, als mir noch kein Fläumchen unter der Nase stand. Die Bücher waren verstaubt, über den Regalen und Wänden hingen Spinnweben. Ach, ich lese ein wenig, vielleicht finde ich ja einen Rat gegen Dünnpfiff, erfahre, was meine Vettern in solchen Fällen getan haben. Ich griff mir Ludwig XIV. aus dem Regal. Blätterte in seiner Biografie, suchte ein Rezept gegen die Unpässlichkeit, konnte aber keins finden. Eine Sache inspirierte mich: Ludwig war daran gelegen, dass jeder Bauer am Sonntag sein Huhn auf dem Mittagstisch hatte. Doch ich wollte beweisen, dass sein Beiname »Sonnenkönig« übertrieben war, wollte den Froschfresser übertrumpfen. Meine Untertanen haben seit eh und je ordentliche Portionen gefuttert. Ich gab ihnen sogar noch mehr: geistige Nahrung! Ich rief Spiele aus und ließ die Nachricht darüber im ganzen Reich verkünden. Das Berliner Volk war leider geteilt, es zerfiel in zwei Lager: Menschewiki und Bolschewiki. Die Hungerleider waren immer in der Mehrheit. Beide Partein entsandten ihre Vertreter. Auf eine Audienz mussten sie lange im Foyer warten. Ich saß auf meinem Thron und bereitete mich auf den Empfang der Delegierten vor. Die Vorbereitung bestand im Ohrenputzen mit Hilfe einer Sicherheitsnadel – damit mir keiner Quark erzählt – und der Augenreizung mit Kölnisch Wasser; das schärft den Blick. Als mein Gehirn Signal gab, dass beide Organe startklar seien, schrie ich: Her mit ihnen! Sie kamen in den Saal gekrochen und stellten sich voreinander auf. Meine Aufforderung, zusammen zu stehen, beantworteten sie mit Schweigen. Da kann man wirklich einen Anfall bekommen, was für Saubeutel! Überall Zankerei. Ich meine es gut, und die pfeifen drauf. Sie sehen nur für ihre eigene Nasenspitze und nicht das Wohl des Kaiserreiches. Ich stand auf verlorenem Posten mit dem Versuch, eine Kaiserliche Garde aufzubauen, die mit einer Stimme sprechen würde. Wenn ihr nicht wollt, dann drauf geschissen. Ich werd's euch schon zeigen. Und brüllte: »Wollt ihr alleine spielen?« »Ja«, schrieen sie zurück. Das kostet. Zuerst nahm ich die Bolschewiki in die Mangel. »Wie Penner seht ihr aus und zieht Gesichter wie drei Tage Regenwetter. Kleidet euch in die festlichen Trachten eurer Heimatdörfer«, befahl ich. Verdammt, alle wollten sie immer in der Nähe des Kaisers sein, da fiel doch immer irgendwas ab. Und insgeheim dachte ich: Für die neuen Trachten ziehe ich euch den letzten Groschen aus der Tasche. Ich änderte die Steuergesetze so, dass schon blechten musste, wer auch nur furzte oder den kleinen Finger rührte. Doch das war noch nicht die einzige Rache, die ich mir für den Ungehorsam ausgedacht hatte. Am Halleschen Tor war viel Platz auf einer riesigen Wiese, nicht weit davon eine Kirche und ein Friedhof für die Schweinheiligen, dahinter ein Flüsschen für die Schmutzfinken und Säufer. Dort baute ich Stände mit Plauderwasser und Futter auf. Zur Zierde ließ ich dazwischen Boutiquen mit allem möglichen Trödel eröffnen. Die Lizenz für diese Geschäfte erteilte ich den übelsten Wucherern der Stadt. Sie witterten einen guten Deal, für den Einstieg verlangte ich einen horrenden Zins. Klar, alles Gesöff und Gebräu war mein Monopol, davon bekam ich am meisten. Damit viel getrunken wurde, flog ich ein paar billige Musikanten aus Übersee ein und ließ sie schwungvoll aufspielen. Dabei hebt man ja leichter das Glas zum Toast und trinkt folglich auch mehr. Meine Berater hatten errechnet, dass dadurch doppelt so viel in meine Taschen fließen würde. Das Wichtigste war, dass die Musik die Kummermienen vertrieb. Jetzt konnte mir der Weiberheld von Sonnenkönig nicht mehr das Wasser reichen, ich durfte sündigen wie er und meine Untergebenen würden es mir verzeihen, weil ich cleverer war. Für die Bolschewiki legte ich folgende Umzugsstrecke fest: Sie sollte am Hermannplatz beginnen, beim Stammvater des Kaiserlichen Geschlechts. Ich lenkte den Marsch der Kernkräfte Berlins so, dass sie an den Generälen York und Blücher vorbei mussten, die den Enkeln des säuischen Ludwig einst ordentlich das Fell verbleut hatten. Vor Stolz über diese taktischen Planungen schwoll mir die Brust, und ich beschloss, ihm gleich noch einen Nasenstüber zu versetzen. Den übertrumpfe ich auch in Punkto Weiber. Um beurteilen zu können, wie gut das funktioniert und welche der Bolschewiken-Weiber die beste war, ließ ich meine Tribüne am Ende der Marschroute am Halleschen Tor aufstellen. Ich kletterte auf einen Baum, beobachtete aufmerksam die Parade und hielt Ausschau nach einem tanzenden Popo, der mir besonders gefiel. Dann wartete ich, bis die Betreffende das Kleid höher raffte, und belohnte sie mit einem Schuss aus meiner Erbsenpistole, zielgenau in den Schritt. Die Getroffene bekam augenblicklich einen Orgasmus, ihr Körper erzitterte, die Beine willenlos gespreizt und der Ausdruck himmlischen Entzückens im Gesicht. Ich hatte alle strategischen Ziele erreicht: Das Volk war's zufrieden, ich vögelte virtuell und kostenlos, und ich verdiente noch daran. Der Sonnenkönig konnte mir mal die Schuhe wichsen. Nach diesem Erfolg eröffnete ich die zweite Front und nahm mir die Menschewiki vor. Das waren die Reichen, da war was zu holen. Ich gab ihnen die teuerste Lokalität der Stadt, die Straße des 17. Juli. Vom Brandenburger Tor bis zur lieben goldenen Else, die anliegenden Sträucher und Parks inklusive. Mein Stabsquartier richtete ich auf den Stufen der Siegessäule ein. Um weich zu sitzen, ließ ich mir für die Genehmigung der Strecke Lorbeerkränze unterm Hintern flechten, damit Ludwig, den Froschschenkelfresser, der Schlag traf. Ich werd euch zeigen, wer hier das Sagen hat. Er soll sehen, wie das Volk mich achtet. Er steckte nebenan im bronzenen Kanonenlauf und tat verdammt noch mal gar nichts, ließ es nicht mal knallen. Er war erstarrt in ohnmächtiger Scham. Das tat mir gut und besserte meine Laune. Aber meine eigenen Leute sollten auch noch büßen. Ich rief den Anführer der Menschewiki, einen gewissen Doktor Motte, und sagte: »Erst die Kohle, dann überlasse ich euch die Lokalität.« Das aber war ein ganz Geschäftstüchtiger, der blieb stur. Betreibt Mietwucher, will aber mit den Bolschewiki nichts zu tun haben! Er kassierte seine Kameraden am Kuhdamm ab. Die beteiligten sich solidarisch und wuschen dann ihre Tränen im Wasser des nahen Springbrunnens ab. Als der Betrag eingegangen war, gab ich die Erlaubnis zum Umzug. Sofort marschierten sie wie Sieger zum Brandenburger Tor, hatten ihren Willen durchgesetzt. Um auf sich aufmerksam zu machen, stampften sie laut mit den Füßen, dass es überall zu hören war. Ich saß bei meiner Goldelse auf der Treppe und schaute zu. Was für eine Masse! Eingekleidet waren sie von den besten Schneidern, manchmal sogar aus Übersee. Sie hatten sich dermaßen in Unkosten gestürzt, um ihre klugen Köpfchen zu schmücken, dass es bei einigen nicht mehr für die Garderobe der unteren oder oberen Körperhälfte gereicht hatte. Am schlimmsten war der Anblick ausgelutschter Brüste und schlaffer Pimmel, die an Ketten baumelten wie Hunde. Aber ich ließ ihnen diese Wunderlichkeiten durchgehen. Ich überlegte nur, wie ich denen noch ein paar Groschen abnehmen könnte. Doktorchen Motte, das Schlitzohr, roch den Braten und verbot seinen Leuten, für gewisse menschliche Geschäfte den Park zu betreten. Er blockierte die Parkeingänge mit Dixie-Klos. Aber wenn ich einmal ein Ziel vor Augen habe, bleib ich dran. Ich postierte das Ordnungsamt in den Büschen und gab Weisung: Strafzettel nach geltendem Recht ausschreiben. Nichts leichter, als einem Bürokaten Macht zu geben, denn so einer lässt seinen Frust über die böse Schwiegermutter oder Ehefrau mit Vergnügen an anderen aus. Als erstes zählten sie mal die Blätter an den Bäumen und die Sträucher durch. Mit dem Alkometer maßen sie den Uringehalt im Boden. Übereifrige engagierten Landvermesser, die das Gelände vermaßen. Wenn da ein Misthaufen emporragte, wusste man sofort, von wem der stammte. Das alles registrierten die Kameras meiner Firma Siemens. Fremde Dienste hatten ihre Finger hier nicht drin, das war für die eine Nummer zu groß. In aller Ruhe beobachtete ich die Party und machte mich in Gedanken über das Doktorchen lustig. Der wollte seine Muskeln spielen lassen und forderte parteiische Massen aus befreundeten Königreichen an. Dachte, er kann mich mit seinen Beziehungen einschüchtern. Denkste. Finanziell war alles unter meiner Kontrolle: Macht, was ihr wollt, Hauptsache, ihr löhnt! Nicht jedes Karnickel kann dem Kaiser ein Schnippchen schlagen. Dann kam er auf die Idee, er könnte die Macht des Kaisers zerstören, indem er meine Majestät kompromittierte. Was für Verführer er mir auf den Hals schickte, nur um mich lächerlich zu machen! Er versuchte alles. Ganze Scharen Nackter beiderlei Geschlechts stolzierten vor meiner Nase herum, blendeten mit ihren Genitalien. Doch da hatte er sich verrechnet. Gucken ja, das kostet ja nichts. Als er sah, dass das nicht wirkte, schickte er mir Minderjährige. Und das war ein taktischer Fehler, weil gegen das Gesetz. Ich winkte ihn mit dem Zeigefinger herbei. Er wurde blass und stand stramm. Wegen Verderbens der anständigen Berliner verhängte ich ein Bußgeld gegen ihn und posaunte überall aus, dass ich im kommenden Jahr meine Provision erhöhen würde. Die genaue Miete legte ich noch nicht fest, wollte erst herausbekriegen, wieviel sie selbst einnahmen. Schließlich schlachtet man kein Huhn, das goldene Eier legt. Ermüdet von der Fülle der Eindrücke wollte ich ins Bett, mich mal so richtig auf die faule Haut legen. Aber ich kam gar nicht rein. Das Schlafzimmer war bis zur Decke voll mit Geldsäcken, selbst meine Pritsche bog sich nach oben durch. Als ich mich rauflegte, stieß ich mit der Nase gegen die Decke. Noch so eine einträgliche Party, und ich konnte mein Schlafzimmer vergessen. Ich wäre obdachlos. Der Sonnenkönig hätte wieder Oberwasser und könnte sich ins Fäustchen lachen: Der Kaiser von Berlin ein Penner! Aber denkste. Ich werde mir ein neues Berliner Schloss bauen. Kapital war vorhanden.